Polnische Historische Mission

Universität Würzburg
Am Hubland, Philosophisches Zentrum (7/U/9)
97074 Würzburg, Deutschland
e-mail: renata.skowronska@uni-wuerzburg.de

Würzburg; foto: Bartłomiej Łyczak

Tagung in Würzburg 2026: „Grenzen”

Epochenübergreifende, interdisziplinäre und internationale wissenschaftliche Tagung

„Eine Grenze ist eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt”. Historische Praktiken und kulturelle Dynamiken in der Praxis der Grenzziehungen

Konferencja naukowa o charakterze międzyepokowym, interdyscyplinarnym i międzynarodowym

„Granica jest faktem socjologicznym, który kształtuje się przestrzennie”. Praktyki historyczne i dynamika kulturowa w praktyce wyznaczania granic

 

  • Link: Programm (Änderungen vorbehalten)
  • Termin: 24. und 25. September 2026 (Donnerstag und Freitag)
  • Tagungsort: Universität Würzburg
  • Link: Informationen für die ReferentInnen und ModeratorInnen

Aus anthropologischer Perspektive ist der Mensch seiner Wesensverfassung nach auf Grenzen angewiesen. Der Begriff „Grenze” leitet sich vom altslawischen granica (u. a. im Polnischen, Bulgarischen, Bosnischen) bzw. graniza (Russisch, Bulgarisch) ab und bezeichnet den (Anfangs- und) Endpunkt eines Raumes. Mit demselben Recht, mit dem der Mensch als politisches Wesen definiert wird, könne man ihn – so Josef Isensee – auch als „grenzbedürftiges Wesen” bezeichnen (Isensee 2018, S. 20). Grenzen sind demnach für den Menschen lebensnotwendig, um sich im Feld der Möglichkeiten zu orientieren und „überhaupt etwas von dem zu verwirklichen, was er an sich leisten könnte und leisten möchte” (ebd.). Anders formuliert: Grenzziehungen erzeugen Differenz und ermöglichen dadurch Unterscheidung (Schwell 2021, S. 268; Pötsch 2021, S. 283). Die Soziologen Goetz Herrmann und Andreas Vasilache betonen in diesem Zusammenhang: „Grenzen tragen zur Strukturierung symbolischer Ordnungen bei, wirken sinnstiftend und ermöglichen so die Bildung und Zuweisung von Identitäten” (Herrmann / Vasilache 2021, S. 68). Ähnlich argumentiert Susanne Rau aus historischer Perspektive, wenn sie festhält, dass Grenzen eine zentrale Raumfigur darstellen, „die zur Unterscheidung von Gruppen dienen, die sich damit ihre eigenen Räume zuweisen” (Rau 2020, S. 309). Solche Unterscheidungen können sprachlicher, religiöser, rechtlicher, ‚natürlicher‘ (Knoll 2019) oder politisch-herrschaftlicher Natur sein. Diesen Überlegungen liegt die vielfach zitierte und disziplinübergreifend rezipierte Aussage Georg Simmels zugrunde: Eine Grenze sei keine „räumliche Tatsache mit soziologischen Wirkungen, sondern eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt” (Simmel 1903, S. 46).

Diese Perspektive auf Grenzziehungen bildet den Referenzrahmen der geplanten Tagung. Anders als in vielen bisherigen – und seit 2015 wieder verstärkt geführten – Grenzforschungen stehen dabei nicht primär Herausforderungen, Leid oder die mit Grenzen verbundenen Zumutungen im Vordergrund. Vielmehr sollen – im Sinne des Mottos Aus der Not eine Tugend machen – jene Praktiken in den Blick genommen werden, die im Zusammenspiel mit verschiedenen Demarkationen entstanden sind und die daraus hervorgegangenen Räume in besonderer Weise prägen. Um mit Isensee zu sprechen: Es geht um die realisierten Möglichkeiten und die aus potenzieller Not entwickelten Praktiken, Umgangsformen, Bräuche, Traditionen, alternativen Zugänge usw.

Die Tagung knüpft damit an Forschungsansätze der letzten Jahre an, die – etwa im Anschluss an Mary Louise Pratts Konzept der Kontaktzonen (1991) – Grenzen nicht nur als negative Abschottung, sondern auch als Ausgangspunkt für neue Formen des (kreativen) Austauschs und Miteinanders begreifen (Spieker 2019, S. 25). Dabei wird bewusst nicht – wie von Dominik Gerst und Hannes Krämer kritisiert – der „eigenmächtigen Arbeitsteilung” innerhalb der Grenzforschung gefolgt, die zwischen politisch-territorialen Demarkationen (Border(land) Studies) und sozio-symbolischen bzw. kulturellen Grenzen (Studies of Boundaries) unterscheidet (Gerst/Krämer 2019, S. 50). Stattdessen wird – der Leistungsfähigkeit der anthropologischen Perspektive folgend – postuliert, dass jede Form von Grenzziehung spezifische Umgangspraktiken hervorbringt (Schröder 2024), wobei die konkrete Entstehungsgeschichte der jeweiligen Grenze ausnahmsweise in den Hintergrund tritt.

Im Fokus der Tagung stehen unter anderem folgende Fragen:

  • Welche – auch nicht intendierten oder ursprünglich nicht mitgedachten – Möglichkeiten wurden von welchen Akteuren im Kontext welcher Grenzziehungen realisiert? Lässt sich der anthropologische Ansatz auf alle Arten von Demarkationen anwenden?
  • Welche spezifischen Praktiken, Umgangsformen, Bräuche oder Traditionen, die heute als organisatorische oder kulturelle Bereicherung gelten, sind aus bestimmten Grenzziehungen hervorgegangen?
  • Welche alternativen Zugänge oder Umgangsformen mit Institutionen und Einrichtungen entwickelten sich im Kontext von Demarkationen?
  • Wie gehen die für Grenzziehungen verantwortlichen Akteure mit nicht intendierten, aber realisierten Möglichkeiten um?
  • Wie reflektieren betroffene Zeitgenoss:innen ihren eigenen Umgang mit der Grenze?
  • Welche Reichweite und Relevanz erlangen spezifische „Grenzpraktiken“ (Grenzräume) für Akteure innerhalb und außerhalb dieser Räume? Ab wann kann man von Grenzregionen sprechen?
  • Welche Rolle spielen Mythen und Deutungshoheiten in den entsprechenden Diskursen?
  • Welche Lebens-, Vergleichs-, Forschungs- oder Vermittlungsperspektiven eröffnet die hier skizzierte anthropologische Sicht auf Grenzziehungen?
  • Welche Quellengattungen eignen sich – insbesondere für frühere Epochen – zur Erforschung der genannten Thematik?

Ziel der epochenübergreifenden und interdisziplinären Tagung ist es somit, das anthropologische Potenzial von Grenzziehungen in den Mittelpunkt zu rücken. Der Call for Papers richtet sich an Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen – etwa der Geschichts-, Politik- oder Rechtswissenschaften, der Soziologie oder der Geografie. Der regionale Fokus liegt auf Mittel- und Osteuropa, Beiträge mit vergleichender Perspektive aus anderen Regionen sind jedoch ausdrücklich willkommen.

Die Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Für jeden Vortrag ist eine Dauer von 20 Minuten vorgesehen. Tagungsgebühren werden nicht erhoben – aber auch keine Honorare gezahlt. Die Veranstalterinnen und Veranstalter bemühen sich derzeit, die Reise- und Übernachtungskosten der Referierenden sicherzustellen. Die Veröffentlichung der Beiträge ist im Jahrbuch Bulletin der Polnischen Historischen Mission Nr. 22 (2027) vorgesehen.

Bitte richten Sie Ihre Vorschläge (Anmeldeformular: Teil 1 und Teil 2) bis zum 6. Januar 2026 per E-Mail an Dr. Renata Skowrońska (E-Mail: renata.skowronska@uni-wuerzburg.de).

Zitat im Titel der Tagung: Simmel, Georg: Die Großstädte und das Geistesleben, in: Die Großstadt. Vorträge und Aufsätze zur Städteausstellung. 1903, S. 185–206, hier S. 190: „Eine Grenze ist eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt”.

Veranstalterinnen und Veranstalter:

  • Polnische Historische Mission an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń) – Dr. Renata Skowrońska
  • Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Philosophische Fakultät – PD Dr. Lina Schröder, PD Dr. Katharina Kemmer, Prof. Dr. Thomas Baier, Prof. Dr. Helmut Flachenecker
  • Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń, Institut für Geschichte und Archivkunde – Prof. Dr. Andrzej Radzimiński, Prof. Dr. Krzysztof Kopiński
  • Haus des Deutschen Ostens (HDO) in München – Prof. Dr. Andreas Otto Weber
  • Stiftung Kulturwerk Schlesien – Lisa Haberkern M.A.
  • Die Tagung wird in Verbindung mit dem Kolleg 'Mittelalter und Frühe Neuzeit’ veranstaltet.

Diese Seite befindet sich noch in der Vorbereitung.