Polnische Historische Mission

Universität Würzburg
Am Hubland, Philosophisches Zentrum (7/U/9)
97074 Würzburg, Deutschland
e-mail: renata.skowronska@uni-wuerzburg.de

Würzburg; foto: Bartłomiej Łyczak

Tagung in Würzburg 2026: „Grenzen”

Epochenübergreifende, interdisziplinäre und internationale wissenschaftliche Tagung

„Eine Grenze ist eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt”. Historische Praktiken und kulturelle Dynamiken in der Praxis der Grenzziehungen

Konferencja naukowa o charakterze międzyepokowym, interdyscyplinarnym i międzynarodowym

„Granica jest faktem socjologicznym, który kształtuje się przestrzennie”. Praktyki historyczne i dynamika kulturowa w praktyce wyznaczania granic

 

  • Termin: 24. und 25. September 2026 (Donnerstag und Freitag)
  • Tagungsort: Würzburg

Vor dem Hintergrund aktueller Migrationsdiskurse und Grenzkonflikte – derzeit insbesondere auch in Mittel- und Osteuropa – stehen Grenzen, Grenzräume und Grenzregionen vor allem seit 2015 fachübergreifend im Zentrum der Debatte. Der Begriff ‚Grenze‘ leitet sich vom altslawischen granica (u. a. im Polnischen, Bulgarischen, Bosnischen) bzw. graniza (Russisch, Bulgarisch) ab und bezeichnet den (Anfangs- und) Endpunkt eines Raumes. Anders als in vielen bisherigen – und seit 2015 wieder verstärkt geführten – Grenzforschungen stehen bei dieser Tagung jedoch nicht primär Herausforderungen, Leid oder die mit Grenzen verbundenen Zumutungen als unmittelbar mit einer neuen Grenzziehung auftretende Wahrnehmungen im Vordergrund. Stattdessen soll im Sinne des Konzeptes der ‚shifting baselines‘ bzw. des ‚shifting baseline syndrome‘ (SBS) sich verändernde Wirkweisen von Grenzziehungen in den Blick genommen werden. Beide Begriffe stammen vom Meereswissenschaftler Daniel Pauly, der sie Mitte der 1990er Jahre im Rahmen seiner Reflexion über die Forschung der Fischereiwissenschaft zu u. a. Fischbeständen, Artenvielfalt und Nachhaltigkeit entwickelte. In sozial- und kulturwissenschaftliche Zusammenhänge übertragen wurde das Konzept schließlich von Harald Welzer (Dietmar Rost 2014, S. 16). Es beschreibt die Verschiebung der für einen tiefgründigen Vergleich erforderlichen Referenzpunkte, Pauly bezeichnet es kurz als das „‚generationale‘ Vergessen von Referenzpunkten“, die in Vergleichen von Gegenwart und Vergangenheit als ‚Baselines‘ dienten (Dietmar Rost 2014, S. 21). Viele Wissenschaftler:innen, so Pauly, orientieren sich nun nicht selten lediglich „an eigenen frühen biografischen Erinnerungen oder an Informationen, die innerhalb ihres eigenen biografischen Horizonts liegen. Damit operieren sie jedoch mit spezifischen und gar nicht sehr weit zurückreichenden früheren Zuständen des Ökosystems, die nicht erkennen lassen, ob sich nicht längerfristig noch viel weitreichendere Veränderungen vollzogen haben“ (Dietmar Rost 2014, S. 18).

Ähnliches lässt sich auch für die Wahrnehmung und Entwicklung sozialer Praktiken im Umgang mit Grenzziehungen annehmen: Von einem Akteur mit einem bestimmten Ziel –nach dem Anthropologen Josef Isensee (2018, S. 20) auch als Realisierung einer spezifischen Möglichkeit zu interpretieren – initiiert, stellt sie zunächst für andere, von ihr betroffene Akteure nicht selten auf den ersten Blick einen unwiderruflichen Einschnitt dar, stellt sich dem gewohnten Alltag in Form einer Einschränkung oder eines Hindernisses in den Weg (siehe u. a. Gerst et al. 2021; Gerst/Krämer 2019). Gesellt sich jedoch der Faktor Zeit hinzu, entfaltet jene Grenze auf den zweiten Blick und mitunter von den Initiatoren ursprünglich gar nicht so gewollt am Ende Potential für neuen Austausch, öffnet ungewollt neue Türen (siehe Stichwort Kontaktzone: Kleinmann et al. 2019). Auch hierin zeigt sich wieder die vielfach zitierte und disziplinübergreifend rezipierte Aussage Georg Simmels, dass nämlich eine Grenze keine „räumliche Tatsache mit soziologischen Wirkungen [ist], sondern eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt” (Simmel 1903, S. 46).

Insbesondere in dieser, den Faktor Zeit integrierenden Perspektive auf Grenze steckt eine Menge, noch nicht von der Forschung ausgeschöpftes Untersuchungspotential, dem diese Tagung nachgehen möchte. Es werden dementsprechend Beispiele gesucht, die mitunter heutzutage als organisatorische oder kulturelle Bereicherung gelten, jedoch Ergebnis einer vormals gezogenen Grenzziehung sind. Damit knüpft die Tagung an Forschungsansätze der letzten Jahre an, die – etwa im Anschluss an Mary Louise Pratts Konzept der Kontaktzonen (1991) – Grenzen eben nicht nur als negative Abschottung, sondern auch als Ausgangspunkt für neue Formen des (kreativen) Austauschs und Miteinanders begreifen (Spieker 2019, S. 25). Dabei wird bewusst nicht – wie von Dominik Gerst und Hannes Krämer zurecht kritisiert – der „eigenmächtigen Arbeitsteilung” innerhalb der Grenzforschung gefolgt, die zwischen politisch-territorialen Demarkationen (Border(land) Studies) und sozio-symbolischen bzw. kulturellen Grenzen (Studies of Boundaries) unterscheidet (Gerst/Krämer 2019, S. 50). Stattdessen wird postuliert, dass jede Form von Grenzziehung spezifische Umgangspraktiken hervorbringt (Schröder 2024), wobei die konkrete Entstehungsgeschichte der jeweiligen Grenze auf der epochenübergreifenden und interdisziplinären Tagung ausnahmsweise in den Hintergrund tritt.

Im Fokus der Tagung stehen unter anderem folgende Fragen:

  • Welche spezifischen Praktiken, Umgangsformen, Bräuche oder Traditionen, die heute als organisatorische oder kulturelle Bereicherung gelten, sind aus bestimmten Grenzziehungen hervorgegangen?
  • Welche alternativen Zugänge zu oder Umgangsformen mit Institutionen und Einrichtungen entwickelten sich im Kontext von Demarkationen?
  • Wie gehen die für Grenzziehungen verantwortlichen Akteure mit nicht intendierten, aber realisierten Möglichkeiten um?
  • Wie reflektieren betroffene Zeitgenoss:innen ihren eigenen Umgang mit der Grenze?
  • Welche Reichweite und Relevanz erlangen spezifische ‚Grenzpraktiken‘ (Grenzräume) für Akteure innerhalb und außerhalb dieser Räume? Ab wann kann man von Grenzregionen sprechen?
  • Welche Rolle spielen Mythen und Deutungshoheiten in den entsprechenden Diskursen?
  • Welche Quellengattungen eignen sich – insbesondere für frühere Epochen – zur Erforschung der genannten Thematik?

Der Call for Papers richtet sich an Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen – etwa der Geschichts-, Politik- oder Rechtswissenschaften, der Soziologie oder der Geografie. Der regionale Fokus liegt auf Mittel- und Osteuropa, Beiträge mit vergleichender Perspektive aus anderen Regionen sind jedoch ausdrücklich willkommen.

Die Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Für jeden Vortrag ist eine Dauer von 20 Minuten vorgesehen. Tagungsgebühren werden nicht erhoben – aber auch keine Honorare gezahlt. Die Veranstalterinnen und Veranstalter bemühen sich derzeit, die Reise- und Übernachtungskosten der Referierenden sicherzustellen. Die Veröffentlichung der Beiträge ist im Jahrbuch Bulletin der Polnischen Historischen Mission Nr. 22 (2027) vorgesehen.

Bitte richten Sie Ihre Vorschläge (Anmeldeformular: Teil 1 und Teil 2) bis zum 6. Januar 2026 per E-Mail an Dr. Renata Skowrońska (E-Mail: renata.skowronska@uni-wuerzburg.de). Im Sinne eines lebendigen Forums des fachlichen Austauschs und aus Respekt gegenüber den Vortragenden möchten wir alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer herzlich dazu ermutigen, die gesamte Veranstaltung zu begleiten.

Veranstalterinnen und Veranstalter:

  • Polnische Historische Mission an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń) – Dr. Renata Skowrońska
  • Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Philosophische Fakultät – PD Dr. Lina Schröder, Prof. Dr. Thomas Baier, Prof. Dr. Helmut Flachenecker
  • Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń, Institut für Geschichte und Archivkunde – Prof. Dr. Andrzej Radzimiński, Prof. Dr. Krzysztof Kopiński
  • Haus des Deutschen Ostens (HDO) in München – Prof. Dr. Andreas Otto Weber
  • Stiftung Kulturwerk Schlesien – Lisa Haberkern M.A.
  • Die Tagung wird in Verbindung mit dem Kolleg 'Mittelalter und Frühe Neuzeit’ veranstaltet.

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